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Senioren OnLine. Projekt "Neue Angebotsformen"

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Alltag in Senioren-Internet-Cafés

(Erstveröffentlichung: Forum Seniorenarbeit (Rubrik Medien),www.forum-seniorenarbeit.de)
Christian Carls, Diakonisches Werk im Rheinland

Lernen ohne Druck

„Der langsamste bestimmt das Tempo - und die anderen müssen das akzeptieren. Wir nehmen uns Zeit, wenn was länger dauert, ist das auch kein Problem.“ So beschreibt David Maysey das Motto des PC- und Internet-„Trainings“ im Senioren Computer Treff Lemgo. Herr Maysey ist ehrenamtlicher Mitarbeiter und betreut den Computer Treff gemeinsam mit drei anderen Ehrenamtlichen. So wie in Lemgo wird der Betrieb der meisten Senioren-Internet-Cafés in NRW durch Ehrenamtliche im Seniorenalter aufrechterhalten. Und in vielen Internet-Cafés in NRW, die ich – als neuer Mitarbeiter im Projektverbund SOL – besuche, treffe ich die Losung an: Gemeinsam Lernen ohne Druck. Diese besondere Angebotsform von Senioren-Internet-Cafés wird hier beschrieben. Daneben gibt es noch „anspruchsvollere“ Kursangebote mit mehr leistungsbezogener Ausrichtung sowie ein weites Spektrum zunehmend differenzierter Angebote mit unterschiedlichen Akzenten. Mehr dazu finden Sie in der neuen Rubrik „SOL Bausteine“ (im Themenbereich Medien hier im Forum Seniorenarbeit).

„Ich hatte Kurse bei .. belegt - das ging oft zu schnell, das Tempo konnte ich nicht selbst bestimmen. Ich hatte ja am Anfang Angst gehabt, mich überhaupt an den Computer dranzuwagen.“ An solche Aussagen knüpfen viele Senior-Trainer in Internet-Cafés an. „Das kann ich sehr gut nachempfinden, da ich diesen Lernprozeß auch mitgemacht habe“, sagt eine noch etwas jüngere Ehrenamtliche aus dem Internet-Cafe Witt in Wesel. „Vor ungefähr 3 Jahren habe ich angefangen mich mit dem Thema Computer zu beschäftigen. Ich weiß noch, wie schwer es ist, sich zu Anfang am Computer zurecht zu finden.“ Viele Ehrenamtliche in Internet-Cafés sind selbst erst seit relativ kurzer Zeit „im Internet“ und für nicht wenige war das zugleich auch die erste Beschäftigung mit dem Computer. Das heißt auch: der Wissensunterschied zu PC und Internet zwischen „Trainern“ und „Gästen“ ist in Senioren-Internet-Cafés oft gar nicht so groß.

Das muß kein Nachteil sein. „Ich mach das Ehrenamtlich, bin der einzige Betreuer da und kann auch nicht alle Fragen beantworten“, erzählt Werner Steinbach aus Uerdingen - „...oft ist es aber so, daß die Gäste sich schon untereinander helfen können.“ Diese Stimmung ist in Senioren-Internet-Cafés verbreitet. Wenn es auch in den meisten Internet-Cafés formell „Trainier“, „Tutoren“ oder „Betreuer“ auf der einen und „Gäste“ oder „Teilnehmer“ auf der anderen Seite gibt, ist die Realität doch oft ein gemeinsames Lernen, Probieren, Herausfinden auf gleicher Augenhöhe.

„Wir wollen keinen Leistungsdruck“ – dieses Motto zieht sich wie ein roter Faden durch die Gespräche mit den Ehrenamtlichen. „Zeigen, was man im Alter noch kann?“. Nein – das mag auch dabei herauskommen, ist aber nicht das Motiv. Viele Ehrenamtliche legen mehr Wert auf Geselligkeit und Spaß. „Die Trainer, die wir haben, sind keine sturen Pauker, das sind Leute, die mitten im Leben stehen. Nirgends wird so gelacht wie in unseren Kursen“, sagt Werner Langels, einer der Initiatoren des Senioren PC-Clubs Willich. „Man muß sich individuell auf die Teilnehmer (teilweise bis zu 80 Jahren alt) einstellen und dementsprechend die Lehrgeschwindigkeit ausrichten. Die Teilnehmer sind dankbar dafür daß Sie nicht in einen festen Stundenplan gezwängt werden“, berichtet auch Heinz Schönberger, Tutor im ev. Seniorenzentrum Essen-Frohnhausen. „Lernen im Dialog“ – dieses Selbstverständnis haben nicht alle Trainerinnen und Trainer von Anfang an. „Man muß das lernen, die Ziele nicht zu energisch vorzugeben. Sonst heißt es von den Teilnehmenden leicht ‚...mein Junge!’. Die meisten sind ja älter als man selbst“ bestätigt Werner Kachel vom Senioren-Internet-Treff in Euskirchen.

© Christian Carls: Jung und alt nutzen das Internet

Alltagsabläufe

Wie aber sieht nun der Alltag in Senioren-Internet-Cafés aus? In den letzten zwei Jahren hat sich, das zeigen die Recherchen für die „SOL Bausteine“ im Forum Seniorenarbeit, vieles gewandelt. Schwellenängste abbauen und erste Schritte ins Netz begleiten sind eine Basis – auf der zunehmend differenzierte Angebote entstanden sind. Um den PC herum entstehen differenzierte soziale Strukturen und Nutzungsformen, die weit über das Interesse an der Technik hinausgehen. Die Vielfalt der Herangehensweisen und Angebote wird in der Rubrik „SOL Bausteine“, die mit der Ausgabe dieses Themenschwerpunkts gestartet wurde, schrittweise dokumentiert werden. Erste „Bausteine“ sind bereits jetzt dort zu finden. Zum Alltag in den meisten Senioren-Internet-Cafés gehört aber nach wie vor die teilnehmerorientierte Einzelberatung. Dazu Portraits von drei Mittwoch-Vormittagen im Internet-Café der Seniorentagesstätte Versmold:

1: „8.45 Uhr, ich öffne das Internetcafé und starte die 3 Rechner. Ca. 9.30: Frau A. kommt. Sie hat sich einen Computer gekauft und möchte jetzt lernen, damit umzugehen. Sie hatte keine Computerkenntnisse. Zuerst haben wir im Internet ihr Urlaubsdomizil in Südtirol gesucht und gefunden. Dann sind wir die ersten Schritte in „Open Office“ gegangen: Text schreiben, speichern, formatieren usw. Nach zwei Stunden Einzelunterricht hat sie erst einmal genug Neues gelernt.“

2: „3 Rechner, 3 Besucher. Herr B., ein jüngerer Mann hatte vor längerer Zeit alles über Computer gelernt und kommt jetzt zum E-Mailen, solange bis er einen eigenen PC hat. Er braucht ab und zu Hilfestellung. Frau C. kommt eigentlich regelmäßig. Nachdem sie ein paar mal bei uns war, kaufte sie sich einen PC und lernt bei uns auch alles von Grund auf im Einzelunterricht, Internet, E-Mail, Windows und der Umgang mit dem Scanner. Herr D. kommt das erste Mal, er hat ein Problem mit einer CD-ROM, die sich bei ihm zu Hause nicht installieren läßt. 3 Besucher und alle haben ganz unterschiedliche Fragen. Damit komme ich wohl klar, jedoch war es der Frau C., so glaube ich, zu unruhig, sie wolle nächstes Mal wieder kommen, wenn es wieder ruhiger ist.

3: 9.00 Uhr, Frau C. kommt extra früh, damit nicht so viele Besucher da sind. Wir surfen im Internet nach dem Museum, in welchem ihre Tochter arbeitet und wir schreiben der Tochter eine E-Mail. 10.00 Uhr: Frau D. kommt hinzu. Sie hat einen älteren PC zu Hause, ohne Internetanschluß. Sie ruft ihr Postfach ab und schreibt ihren Studienkollegen E-Mails. Sie hat ab und zu Fragen dazu. Dann surfen wir im Internet noch nach Sehenswürdigkeiten, denn sie plant eine Reise für eine Frauengruppe. Frau D. ist immer wieder davon begeistert, wie einfach manche Dinge gehen und z. B. davon, dass der PC noch einmal nachfragt, bevor er etwas löscht.“ (Bericht von Stefani Bentfeld).

© Christian Carls: Zahlreiche ältere Menschen nutzen 
											das Internet und helfen sich gegenseitig

„Treffen am PC“

„Kommunikation ermöglichen“ ist ein weiteres Motiv, das von vielen Ehrenamtlichen genannt wird. Als „Treffen am PC“ beschreibt Fred Przyborski vom Internet-Cafe „Die Brücke“ in Gelsenkirchen-Buer seine Tätigkeit. Vorrangig wird „1:1“ – Betreuung angeboten, erläutert Allo Otschipka, einer der Initiatoren des Internet-Cafes. Dabei entstehen fast immer persönliche Gespräche zwischen den Gästen und den Trainern – in die sich andere Gäste „einklinken“ können. „Ich merke immer wieder die Gäste fühlen sich besonders wohl, wenn sie sich auch mit anderen Gästen unterhalten können, sich gute Gespräche ergeben“, ergänzt Herr Przyborski. Die Gäste in „der Brücke“ buchen feste Zeiten – „und kommen schon eine halbe Stunde früher, trinken noch Kaffee und unterhalten sich mit anderen“ erzählt eine Teilnehmerin. Der Kaffee wird gegen 50 Cent pro Tasse angeboten, von dem Erlös kauft das Internet-Café günstige Programme. Kekse gibt es dazu, Kuchen bringen oft Gäste mit. Das klingt richtig kuschelig? „Ja, wir wollen auch, daß das kuschelig ist, ohne Leistungsdruck. Manche haben ihr leben lang gearbeitet, wollen dann verbissen weitermachen – wir versuchen hier einen anderen Stil. Und dabei lernt es sich auch am besten“ antwortet Fred Przyborski.

Diese persönliche Atmosphäre ergibt sich in anderen Internet-Cafés nur in festen Gruppen. Beim freien Surfen und in der offenen Beratung am PC ist der Wechsel meist zu groß. Viele Teilnehmende kommen nur über kurze Zeit, verschaffen sich einen Eindruck vom Internet, kommen dann aber nicht wieder – oder kaufen sich einen privaten PC und kommen nur noch sporadisch, wenn technische Probleme alleine nicht gelöst werden können. Eine nachhaltige Bindung an die Internet-Cafés findet – wenn - meist in separaten Gruppen statt. „Neben unregelmäßigen Besucherinnen und Besuchern mit konkreten Problemen hat sich eine Gruppe gefunden, die sich in sehr engem Kontakt mit speziellen Themen beschäftigt und dabei viel ausprobiert. Abwechselnd werden oft sogar kurze Berichte darüber verfasst, um später nachlesen zu können. Dabei werden auch Themen wie Partnersuche übers Web u.ä. sehr persönliche Themen angesprochen. Ganz nebenbei werden durch den offenen und lockeren Umgang neue Besucher integriert, wenn sie das möchten. Es entsteht aber nie der Eindruck einer geschlossenen Gruppe, die keine neuen Mitglieder aufnimmt, im Gegenteil, das Interesse an neuen Besuchern (und Fragen) ist immer da.“ (Stefan Zollondz vom Senioren-Internet-Café AWO-Begegnungszentrum Heisenbergweg, Bielefeld). Manchmal ergeben sich auch Treffs jenseits der Internet-Cafés, „Teilnehmerstammtische“, die bisweilen sogar als „Konkurrenz“ zum Angebot der Einrichtung wahrgenommen werden können.

Zugewandte Atmosphäre

Beeindruckend ist die zugewandte Atmosphäre, die in Internet-Cafés oft spürbar ist – und von anderen Bildungseinrichtungen so in der Regel kaum geleistet werden kann. „Wenn Neue zu uns kommen, gehen wir nicht gleich an den Computer. Wir laden neue Gäste erst mal zu einer Tasse Kaffee ein. Dabei geht es um PC-Interessen, aber auch ums Kennenlernen allgemein“ erzählt Hildegard Koch vom Internet-Café der Ev. Kirchengemeinde Rotthausen. Diese Haltung drückt sich oft noch in weiterer Unterstützung aus. So ist es nicht unüblich, daß Ehrenamtliche aus Internet-Cafés Hilfe anbieten, wenn Teilnehmende Probleme mit dem PC zuhause haben. „Wir haben deswegen sogar von Händlern Beschwerden gehört“ berichtet David Maysey aus Lemgo. „Aber Schwarzarbeit ist das nicht. Wir machen einfache Fehlerbehebung und verlangen eine Tasse Kaffee und Kekse dafür“. Zusätzlich bemüht man sich dort sogar um gespendete PCs, die Kursteilnehmenden, die zuhause keinen Computer haben, kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

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Bearbeitung durch Michael Mruczek